Wir Menschen von Bodrum – dem Saint Tropez der Türkei
Weiß getünchte Steinhäuser. Blaue Fensterrahmen. Pinke und rosafarbene Bougainville. Mimosen. Oleander-Sträucher und die smaragdgrüne Ägäis lassen Bodrum zu jeder Jahreszeit besonders farbenfroh strahlen. An manchem Ort wirkt das St. Tropez der Türkei jetzt noch bunter. In Städtchen wie Gümbet, Ortakent, Torba oder auch in Goltürbükü schmücken rote, gelbe, pinke, grüne, weiße und blaue Stühle und Tische, neuerdings zahlreiche Restaurants und Cafés auf Bürgersteigen, Plätzen und an zahlreichen Stränden. Wer macht nur diese Möbel, die wie fröhliche Farbkleckse in der Landschaft wirken? Seit Wochen stelle ich mir immer wieder mal die Frage, wenn ich gerade unterwegs bin. Kaum zu Hause, habe ich den Gedanken schon wieder verloren, einfach mal im Internet nach diesen bunten Stühlen zu googeln.
Tahta Sandalye – Holzstuhl – ein einfacher Name für ein Atelier
Ich bin gerade auf den Weg D330 nach Gümşlük (ehemals Myndos) unterwegs, dass rund 17 Kilometer vom Camelbeach in Bodrum Kargı entfernt ist, wo ich zu Hause bin. Die Fahrt nach Gümşlük ist malerisch und verträumt. Links und rechts prachtvolle Zypressen und wildwachsender Oleander. Vereinzelnd sind freilaufende Kühe zu sehen, die sich genussvoll durch die satten Wiesen der hügeligen Landschaft durchfuttern. Die Luft schmeckt nach Oliven. Eine verträumte kleine Stein-Brücke führt durch das Künstler-Dorf Dereköy. Hier scheint die Zeit seit Jahrzehnten stehen geblieben zu sein. Straßennamen gibt es hier nicht. Links – in einem alten Steingemäuer befindet sich Hüseyin Özgul’s «Le Kabbak«-Geschäft und die dazu gehörige Werkstatt. Hier stellt der Philosoph und ehemalige Journalist aus Istanbul aus getrockneten Wasserkürbissen und bunten Glasperlen Lampen her, die in nahezu jedem Haushalt und Ladengeschäft Bodrums zu finden sind.
Gleich gegenüber befindet sich eine 200 Jahren alte ehemalige Oliven-Destille. Ein rotes Holzschild in großen weißen Lettern TAHTA SANDALYE (Holzstuhl) springt mir markant ins Auge. Noch vor wenigen Wochen gehörte es zu Hüseyin Özgul’s «Le Kabbak«-Geschäft. Im verschlafenen Dorf Dereköy tut sich offensichtlich etwas. Das Steinhaus ist mit weißem Kalk frisch getüncht worden. Fenster und Türen strahlen jetzt wieder im typischen Bodrum blau. Farbenfrohe Holzstühle, Hocker und Tische in diversen Grössen schmücken den Hof. Ich fühle mich magisch von der neuen Farbenpracht angezogen. Da brauche ich nicht lange zu überlegen. Kurz entschlossen parke ich meinen Wagen, um mich umzusehen.
Eine «Fell Nase« mit Schlappohren kommt schwanzwedelnd auf mich zugelaufen. Und wenige Augenblicke später steht eine attraktive Frau vor mir. In der rechten Hand einen Farbpinsel und in der linken Hand einen Eimer mit blauer Farbe. Sie strahlt mich mit ihren großen Reh Augen an und zu meiner Überraschung begrüßt mich die blonde Frau im besten deutsch:

„Hoşgeldiniz! Ich sehe, Sie kommen aus der Schweiz?”, und deutet auf das Nummernschild meines Autos. Ohne meine Antwort abzuwarten, fährt sie fort: „Herrlich! Ich habe viele Jahre in der Schweiz gelebt. Ich besuchte in Lausanne das Gymnasium «Ecole Lemania«. Kennen Sie das? Est-ce que tu parles français?” (Sprechen Sie Französisch?).
Glücklich über so viel Neugierde und Interesse, antworte ich: „Ich bin Deutsche, aber die letzten Jahre habe ich tatsächlich in der Schweiz gelebt und gearbeitet, ehe es mich ganz nach Bodrum verschlagen hat.”
Alev strahlt jetzt noch mehr und bittet mich ihr zu folgen: „Komm nur. Ich zeige dir alles”, und führt mich schnurstracks durch die ehemalige Oliven-Destille. Tatsächlich steht hier noch die Original-Presse, in der einst ganze Oliven mit Steinen gepresst wurden, um aus dem Saft der Früchte Olivenöl zu destillieren. An der Decke hängen zahlreiche Stühle und verhelfen den Raum zu noch mehr Attraktivität. An einem Holzpfosten hängt ein Ölgemälde von einer jungen Frau. Fasziniert bleibe ich davorstehen und frage Alev, wer die Schönheit ist „Ach, das weiß ich gar nicht. Ich hatte das Gesicht irgendwann vor Augen und fing an, erste Skizzen anzufertigen – so entstand «Sie« – eine osmanische Schönheit.”
Carpe Diem – Pflücke den Tag
Das sind diese Momente, die ich so sehr in Bodrum liebe. Du bist unterwegs und hast es eigentlich eilig. Doch plötzlich spielt Zeit gar keine Rolle mehr. Der Moment des Augenblicks ist manchmal wichtiger als jede Verpflichtung. Zeit zum Entschleunigen. Zeit, um neuen Menschen zu begegnen. Zeit, um ihren Geschichten zu lauschen. Ja – diese Momente erfüllen mich immer wieder aufs Neue mit Glück und Liebe.
„Komm, JayJay. Lass uns in den Garten gehen und gemeinsam Tee trinken. Talip, mein Chef, ist bestimmt auch schon da. Er wird sich freuen, dich kennen zu lernen”, sagt Alev zu mir.
Die Luft flimmert. Es ist ein ausgesprochen heißer Juli-Tag. Selbst im Schatten sind es glühende 40 Grad Celsius und der heißeste Monat August steht uns erst noch bevor. Rechts von mir nehme ich in einer Hängematte fläzend, einen Mann wahr. Drei-Tage-Bart, hohen Geheimratsecken mit lockigem Haar mittleren Alters. „Ah. Besuch. Komm nur. Setz dich. Ich mag im Moment nicht arbeiten. Es ist Zeit für einen Tee und für eine nettes Gespräch”, begrüßt mich Talip.
Schön, wenn man nicht weiß, was der nächste Augenblick an Überraschungen für einen parat hält. Im Garten treffe ich also den Schreiner Talip Güran und seine zauberhafte Assistentin Alev Canan Buharali. Ehe ich mich versehe, bin ich mitten in der Welt von Künstlern. Um uns herum stehen unbehandelte, aufeinander gestapelte Holzstühle herum. Farbeimer und diverse Pinsel. Bunte Stühle, Hocker und Tische. Vieles ist fertig. Vieles will erledigt werden. Die Fell Nase mit Schlappohren kommt mit müdem Gang an uns vorbei getrottet. Neugierig und hoffnungsvoll schaut der Kerl auf leisen Pfoten in das kühle Steinhaus. Sein unschuldiger Blick verrät: „Darf ich da rein?” Die 60 Zentimeter dicken Steinwände sorgen für eine herrlich angenehme Frische in der ehemaligen Oliven-Destille. Der Racker weiß das. Aber Alevs strenger Blick signalisiert ihm: Nein. Er darf nicht! „Die Hundehaare legen sich überall ab. Auch auf den Stühlen. Das geht einfach nicht”, sagt Alev freundlich und doch bestimmend.
Der Schreiner ist Schauspieler
Alev fragt mich, ob ich weiß, dass Talip Schauspieler ist. Verdattert schaue ich erst Alev und dann Talip an und antworte ein wenig verlegen: „Woher soll ich deutsche Seele das wissen?” Das Stichwort für Talip, um mit mir in einen Dialog einzusteigen. Er schmunzelt charmant und sagt kokett zu Alev: „Ach. Diese alten Geschichten. Das ist ja jetzt wenigstens 40 Jahre her.”
Neugierig frage ich Talip: „Du bist Schauspieler? Wieso arbeitest du dann als Schreiner?”
Talip lacht herzhaft und antwortet amüsiert: „Wer keine Rollen mehr bekommt, tut gut daran, mit etwas anderem Gelde zu verdienen.” Der attraktive Selfmademan fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle des Geschichtenerzählers. „Warte. Ich zeig dir jetzt mal ein Foto, was für ein hübscher Kerl ich mal war.” Er öffnet sein Smartphone und scrollt in seinen Bildern, reicht mir sein Telefon und sagt: „Schau mal, was für volle Haare ich damals hatte.” Und dann sagt er fast melancholisch: „Wenn wir jung sind, wissen wir gar nicht, wie attraktiv wir sind und wenn wir alt sind, bleiben nur die Erinnerungen an diese Zeit.”
Talip Güran in der Rolle des Kıvırcık Ömer im Filmklassiker «Das chaotische Klassenzimmer«. Der gleichnamige Bestseller-Roman Hababam Sınıfı schrieb Rıfat Ilgaz. Foto: Talip Güran
Hababam Sınıfı – das chaotische Klassenzimmer
„Na, komm schon, Talip. Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Erzähle doch bitte JayJay, wie du zur Schauspielerei gekommen bist”, neckt ihn Alev, die uns jetzt eisgekühlte Wassermelone und frisch aufgebrühten Çay serviert. Talip richtet sich in der Hängematte auf, streckt sich, steht auf und setzt sich zu uns an den Tisch.
„Yavaş, yavaş”, langsam, langsam, sagt Talip und fährt dann fort: „Ich war gerade auf dem Weg nach Hause, als mich plötzlich eine Frau auf der Straße ansprach und sagte: «Genau dich suchen wir.« Kannst du dir vorstellen, JayJay, wie verdutzt ich die Agentin angeschaut habe? Ich dachte wirklich, die will mich auf den Arm nehmen. Aber dann fragte mich die Dame sehr seriös, ob ich den Roman «Hababam Sınıfı» («Das chaotische Klassenzimmer«, die Redaktion) des berühmten Schriftsteller Rıfat Ilgaz mal gelesen hätte. Klar, kannte ich das Buch. Zu meiner Zeit war das für jeden Pennäler einfach Pflichtlektüre”, verrät Talip. Er schlürft zwischendurch genussvoll an seinem Glas Çay und sagt dann: „In dem Buch geht es um eine Gruppe junger Männer aus reichem Hause, die in einem renommierten Internat leben. Statt für die Schule zu lernen, lassen sich die reichen Schnösel immer wieder neue Streiche einfallen und ärgern so ihre Lehrer und bringen den neuen Direktor regelmäßig auf die Palme und zur Verzweiflung.”
Langsam wandert die Sonne am Horizont weiter, die Hitze wird im Garten erträglicher. Interessiert frage ich Talip: „Kanntest du denn damals die ersten Filme «Das chaotische Klassenzimmer« bereits?”
„Ja – sicher doch! «Sınıfta Kaldı« (In der Klasse stecken), «Uyanıyor« (Aufwachen) oder «Tatilde« (Ferien) waren bereits Kult-Comedy-Filme im Kino, später dann im Fernsehen, Meine Generation gehörte zu den begeisterten Fans – ob Jungs und Mädels. Selbst unsere Eltern liebten diese Filme. Auf den Pausenhöfen der Schulen wurde Wochen lang über nichts anderes geredet als über diese Filme”, erinnert sich Talip.
Der Schreiner blüht während seiner Erzählungen richtig auf. Seine Augen leuchten förmlich. Angeregt erzählt er weiter: „Meine Schulzeit lag gerade hinter mir und ich konzentrierte mich auf mein Studium. Es waren Semester-Ferien und so war ich auf Jobsuche, um einige Lira zu verdienen. Da ich also nichts besseres vorhatte, fragte ich die Agentin, um welche Rolle es denn gehen würde. Da verriet sie mir, dass die Rolle des Schülers «Kıvırcık Ömer« zu besetzen sei. Obwohl ich keinerlei schauspielerische Erfahrungen hatte, ging ich am nächsten Tag zum Vorsprechen und ich wurde vom Fleck weg engagiert. Für mich war es eine große Ehre als blutiger Anfänger damals berühmte Fußstapfen wie die des Schauspielers Kemal Sunal berühren zu dürfen. Kemal erreichte im ersten Film «Sınıfta Kaldı« (In der Klasse festhängen) seinen großen Durchbruch als Schauspieler. Für mich war er so etwas wie ein Gott – ein Idol. Allerdings spielte er in dem Film, in dem ich mitspielte, leider nicht mehr mit.”
Wenn die Vergangenheit uns sanft macht
Wehmut klingt in Talips Stimme und sein Blick wird ein wenig traurig. Er fragt Alev nebenbei, ob noch mehr Çay da wäre. Dann sagt er zu mir: „Dieser Erfolg war mir damals so nicht vergönnt. Ich erhielt danach zwar noch einige kleine Rollen, aber mir wurde schnell klar, dass ich einen Beruf erlernen musste, der mich ernähren würde. Trotzdem erinnere ich mich verdammt gern an diese Zeit. Kemal Sunal und einige andere Schauspielkollegen sind bereits verstorben. Das Leben ist so vergänglich. Gerade sind wir noch jung und im nächsten Augenblick wartet bereits der Tod auf uns”, beginnt Talip zu philosophieren.
Alev will Talip erheitern und sagt: „Ist es nicht wundervoll, so ein reiches Leben zu haben, um deine tollen Erlebnisse mit uns teilen zu können? Wir haben alle unsere Vergangenheit. Lass uns lieber über unsere Gegenwart reden. Schließlich machst du gerade Karriere als Schreiner und verhilfst Bodrum mit deinen Stühlen zu noch mehr Glanz.”

Recht hat Alev. „Verrate doch mal Talip, wie du auf die Idee mit diesen Stühlen und Tischen gekommen bist?”, frage ich Alevs Arbeitgeber.
„Mein Vater Dursun Ali Güran war ebenfalls Schauspieler. Als Kind und Teenager durfte in den Open Air Kinos in Istanbul die Holzstühle aufzustellen. Das waren genau diese, die wir heute produzieren. Sie sind einfach unverwüstlich! Das Holz ist vom Ahorn Baum, die vor allem in Anatolien wachsen. Das Holz ist zum Verarbeiten hervorragend geeignet. Es ist nicht anfällig und hält so manchen Schlag auf dem Boden aus”, erzählt Talip überzeugt. Und um Talips Aussage Nachdruck zu verleihen, greift Alev spontan nach einem Stuhl und ruft mir entgegen: „Schau JayJay, was ich jetzt damit mache”, und schleudert das gute Stück im hohen Bogen auf den Schotterweg, hebt ihn auf und reicht ihn mir: „Schau nur selbst. Keine Schramme. Keine Delle. Einfach nichts.”

In Çinar werden die Stühle von Hand angefertigt
Es war Talips Schwager Erkan Çalışkan in Istanbul, der die Geschäftsidee vor rund vier Jahren hatte. „Heute noch haben wir die Stühle aus Vaters Zeiten in unseren Haushalten. Da lag die Idee nahe, auch anderen diese Stühle anbieten zu wollen. Mein Schwager wird seinem Nachnamen gerecht, der tatsächlich im deutschen «fleißig» bedeutet. Von Erkans Geschäftsidee und Fähigkeit Geschäfte aufzuziehen, profitiert jetzt unsere ganze Familie! Das macht nicht nur Erkans Frau glücklich, die meine Schwester ist, sondern auch mich!”, plaudert Talip aus dem Nähkästchen.
Dann sagt Talip: „Erkan reiste nach Anatolien, um sich verschiedene Tischlereien anzusehen. In Çınar fand er, wonach er suchte. Kennst du Çınar, JayJay? Es grenzt an den Provinzen Şanlıurfa und Mardin.”
Der Name der Stadt bedeutet auf Deutsch Ahorn. In Çinar fand Talips Schwager dann die richtige Werkstatt, die sich auf die Verarbeitung von Ahorn Holz spezialisiert hat und „die exakt nach unseren Angaben die Einzelteile der Stühle von Hand anfertigen. Es braucht bis zu 40 Männer und drei bis vier Arbeitstage, ehe sämtliche Teile für einen Stuhl fertig gestellt sind”, sagt Talip.
Kleine oder große Tische, Beistell- und Bartische, Barhocker und Kindermöbel werden aus Ahorn Holz produziert. „Allerdings sind alle Möbel noch unbehandelt, wenn wir sie aus Çinar angeliefert bekommen. Erst hier in meiner Werkstatt bekommen die Stühle und Tische ihren Feinschliff. Jedes einzelne Stück wird von Hand abgeschliffen und poliert, ehe wir dann zum Farbpinsel greifen können”, sagt Talip.
Der materialistischen Welt des Daseins haben Talip Güran und Alev Canan Buharali von je her abgeschworen. Sie sehen viel mehr den Reichtum in der Stille und Schönheit Bodrums mit seiner reichen Natur. Obwohl seit Jahrzehnten die zahlreichen Gemeinden Bodrums für den stetig wachsenden Tourismus regelrecht zubetoniert werden, schützen Einheimische die noch wenigen Mandarinen- und Orangen-, Granatapfel- und Feigen-Plantagen und Olivenhaine. Aussteiger wie Talip und Alev sind tatkräftige Unterstützer dieser Vorhaben und tragen ihren Anteil dazu bei, dass beispielsweise die 200 Jahre alte Oliven-Destille in Dereköy erhalten bleibt und nicht etwa einfach abgerissen wird, um hier eine weitere Bettenburg bauen zu können. Alev sagt nachdenklich: „Wir Menschen in Bodrum leben inzwischen vom Tourismus. Auch ich. Ich verkaufe meinen Modeschmuck und meine Bilder, die ich in Ausstellungen präsentiere oder einfach auch mal auf einem Basar verkaufe. Dennoch ist es wichtig, das ursprüngliche Bodrum zu erhalten.”
So wurde Weltenbummlerin Alev in Bodrum sesshaft
Talip verschwindet unauffällig. Und Alev bringt jetzt selbstgemachte Zitronenlimonade und gekühlte Honigmelone. Während sie sich setzt, sagt sie: „Weißt du, JayJay, es ist nicht wichtig, dass mich alle Menschen in Bodrum kennen. Wichtig ist, das ich der Welt etwas hinterlasse. Talip bringt den Menschen Stühle und Tische in ihre Gärten und Wohnstuben. Ich male wunderschöne Porträts – am liebsten von Frauen und gestalte Modeschmuck mit Produkten, die die Natur uns schenkt. Jedes einzelne Stück ist ein Unikat mit Perlen und Muscheln, Seepferchen und bunten Steinen.”
Weltenbummlerin und Lebenskünstlerin Alev wurde in Ankara geboren. 1960 zog es ihren Vater Dündar Buharali mit der Familie nach Graubünden in die Schweiz. Da war Alev gerade Mal fünf Jahre alt. Sie besuchte in Flims die Schule, später in Davos die Mittelschule, während „mein Vater als Bauingenieur für die Schweizer erdbebensichere Tunnel baute. 1968 ging es wieder in die Türkei nach Istanbul zurück. Doch aufgrund des Militärputschs zog es meinen Baba 1972 mit der Familie auch schon wieder in die Schweiz. In Zürich und später in Lausanne studierte ich Sprachen. Ja, meine Familie und ich sind viel rumgekommen. Als Kind fand ich das spannend und es sollte mein späteres Leben prägen. Ich war mein halbes Leben lang auf Reisen, ehe ich in Bodrum sesshaft zu werden!”
Früh kam die damals junge Alev mit der Schweizer Intellektuellen-Szene zusammen: „Sie vermittelten mir das Gefühl für Kunst und für die Einfachheit des Lebens. Künstler haben meistens kein Geld. Trotzdem verstehen sie es, mit sehr wenig so viel zu gestalten. Das inspiriert mein Leben noch heute!”
Alev kramt nach ihrem Handy in der Handtasche und zeigt mir einige Fotos. „Siehst du, mein Vater hat mir das Segeln beigebracht. Wir hatten damals ein eigenes Boot. In jeder freien Minute waren meine Eltern mit uns Kindern segeln – ob auf dem Zürisee oder im Marmarameer, dass damals noch richtig sauber war. Als junge Frau segelte ich mit meinem damaligen Freund mehr als zehn Jahre von einer griechischen Insel zur nächsten. Als wir dann auch die letzte Insel gesehen hatten, war unsere Beziehung wie ausgelaufen.”
Neustart in Bodrum
Es wird langsam dunkel. Endlich sinken die Temperaturen auf ein erträgliches Maß. Alev entschuldigt sich ein weiteres Mal für einen Moment, um sich einen dünnen Schal für die Schultern zu holen. Talip kehrt aus seiner Werkstatt zurück, fläzt sich in die Hängematte und sagt zu mir: „Worüber sprecht ihr gerade?” Alev übergeht Talips Frage und sagt: „Wenn eine Beziehung zu Ende ist, ist sie zu Ende. Dann sollte man gehen, damit was Neues entstehen kann. Also habe ich meine wenigen Sachen zu einem Bündel zusammengeschnürt und bin mit der nächsten Fähre nach Bodrum gefahren. Da war ich Mitte zwanzig. Bodrum war zu dieser Zeit einfach paradiesisch und idyllisch – die Menschen schön. Den heutigen Yachthafen, die Marina, gab es noch gar nicht”, erinnert sich Alev. Und Talip ergänzt: „Das Leben war einfacher, nicht so schnelllebig und anstrengend. Oder, Alev? Was meinst du?”
„Doch, doch, da hast du recht. Vor allem war das Leben viel günstiger als heute. Alle waren mit viel weniger zufrieden”, antwortet Alev.
In den 70er Jahren kaufte sich Alev ein einfaches Steinhäuschen und fing hier an als Künstlerin zu arbeiten. „Im Winter wird produziert und in den Sommermonaten trifft man mich dann auf Basaren oder auch in Ausstellungen, wo ich meine kleinen Kunstschätze ausstelle und zum Verkauf anbiete. Na ja, und vor zwei Jahren fragte ich dann Talip, ob er nicht eine Assistentin für sein Holzstuhl-Attelier bräuchte. Jetzt bin ich das Mädchen für Alles und ich liebe das, weil ich auch hier an meiner Kunst weiterarbeiten kann!”
Was macht Bodrum so einzigartig?
Es ist spät geworden. Meine wilden Katzen und meine Fell Nase Gümüş warten bestimmt schon sehnsüchtig auf ihr Futter. Doch eine letzte Frage beschäftigt mich dann doch noch: Sagt mal, Ihr beiden, was macht Bodrum für euch so einzigartig?
Unisono antworten Alev und Talip wie aus einem Munde: „Bodrums warmes Klima, das Meer, die idyllische Natur und das gute Essen.” Dann fügt Alev hinzu: „Wer einmal in Bodrum war, lernt schnell, dass die Zeit eine völlig neue Bedeutung bekommt. Unsere Tage empfinden wir hier viel intensiver. Sie fühlen sich reicher an. Der Blick auf die Ägäis mit seinen zahlreichen Inseln öffnet unseren Horizont. Vor allem hier in Dereköy, weit ab vom Massen-Tourismus fühle ich mich mit den Einheimischen, die inzwischen sehr alt geworden sind, ganz besonders glücklich.” Und wovon träumen die beiden «Aussteiger« noch?
„Träumen? Ach”, sagt Talip. „Ich würde gern demnächst noch ein Restaurant eröffnen. Eine kleine Taverne mit traditionellen einfachen Gerichten. Tagsüber bin ich in der Werkstatt und am Abend dann im eigenen Restaurant, um liebe Freunde zu begrüßen, die gerade in Bodrum Urlaub machen. Ein Restaurant als Treffpunkt für alle – das wäre es.”
Alev wünscht sich vor allem: „Gesund” zu bleiben. „Das ist das Wichtigste. Und wenn ich ehrlich bin, ich habe so viel gelebt, nein, ich denke nicht, dass da etwas ist, was ich noch erträumen und erreichen möchte, außer dass ich weiterhin mein Leben mit meinen liebsten Freunden in vollen Zügen genießen zu dürfen.”
Info:
Tahta Sandalye Bodrum Dereköy
BODRUM ŞUBEMİZ
Tel: +90 252 317 05 45
Gsm: 0533 651 98 05
Adres: Dereköy cad. no:144 Dereköy Bodrum / MUĞLA
E-Posta : bodrum@tahtasandalye.com
Taptaze Tahta Sandalyeler
Nachtrag 1:
Bodrums Künstlerin Alev hat uns verlassen

Diese Geschichte «Talip und Alev pinseln Bodrum kunterbunt« veröffentlichte ich am
27. Juli 2015 auf meinem Blog AllaroundTurkey. Im März 2020 musste ich von Alev Canan Buharali erfahren, dass sie sehr schwer erkrankt sei. Immer wieder musste sie ins Krankenhaus. Die Ärzte konnten nichts mehr für die Künstlerin tun. In der Nacht zum 1. Juni erlag Alev mit 65 Jahren ihrer Erkrankung.
Ich bin glücklich, dass ich diesem feinen und lebensbejahenden Menschen in Bodrum begegnen durfte. Ich trauere um diesen schönen Menschen. Ruhe in Frieden, liebste Alev.
Nachtrag 2:
Bodrums Künstler Talip eröffnete eine Kneipe

Talip Güran erfüllte sich vor zwei Jahren seinen Traum von einem eigenen Restaurant, das er liebevoll die Holzkneipe «Tahta Meyhane« nennt. Ich hoffe, dass ich in diesem Jahr noch nach Bodrum fliegen kann, um Talip zu besuchen und um dann einen Bericht über seine Holzkneipe zu realisieren.
Info:
Tahta Meyhane
Talip Güran: Telefon: +90 533 651 98 05
48960 Bodrum Dereköy / Muğla
Die Straße hat keinen Namen. Auf den Weg nach Dereköy, wirst du die Holzkneipe gleich erkennen.
Info:
Das chaotische Klassenzimmer – Hababam Sınıfı
«Die chaotische Klasse« ist ein Klassiker des türkischen Kinofilms und genießt bis heute große Popularität in der Türkei. Die Filme werden bis heute regelmäßig im Fernsehen gezeigt. Hier kannst du dir alle Filme noch einmal in türkischer Sprache anschauen:
- Hababam Sınıfı Sınıfta Kaldı (1975)
- Hababam Sınıfı Uyanıyor (1976)
- Hababam Sınıfı Tatilde (1977)
- Hababam Sınıfı Dokuz Doğuruyor (1978)
- Hababam Sınıfı Güle Güle (1981)
- Hababam Sınıfı Merhaba (2003)
- Die chaotische Armee (Hababam Sınıfı Askerde) (2004)
- Die chaotische Klasse 3,5 (Hababam Sınıfı Üç Buçuk) (2005)
Die ersten sechs Filme wurden von 1974 bis 1981 unter der Regie von Ertem Eğilmez verfilmt. Im Jahr 2003, also nach einer langen Pause, wurde die Reihe in neuer Besetzung fortgesetzt. Diese waren aber bei weitem nicht so erfolgreich wie die Filme mit der ersten Besetzung, da man die Komik und auch die individuellen Figuren der Filme die bis 1981 gedreht wurden, nicht ersetzen konnte. Dies ist kein Vorwurf an die Filmemacher der neuen Generation, da für die türkischen Zuschauer „Hababam Sınıfı“ gerade ohne Kemal Sunal kein „Hababam Sınıfı“ sein konnte. So hätten die neuen Folgen auch nie den Erfolg wiederholen können.
In Hauptrollen der Filme spielen u.a. Kemal Sunal (* 11. November 1944 in Malatya; † 3. Juli 2000 in Istanbul), Münir Özkul (*15. August 1925 in Istanbul; † 5. Januar 2018), Adile Naşit (*17. Juni 1930 in Istanbul; † 11. Dezember 1987), Kevket Altuğ (* 13. März 1943 in Bandırma), Perran Kutman (*30. November 1949 in Istanbul), İlyas Salman (*14. Januar 1949 in Arguvan), Şener Şen (* 26. Dezember 1941 in Seyhan/Provinz Adana) und Talip Güran (*1958 in Istanbul).
Liebe Jacqueline, deine Übersetzung zu sinifda kaldi kam mir ungewöhnlich vor. Vom Gefühl her müsste es sitzen geblieben heißen..also durchgefallen heißt es in den Übersetzunge…juhu ich habe schon ein klein bisschen türkisches Sprachgefühl! Dankeschön für den sehr farbenfrohen Bericht! Lieben Gruß von Petra
Lach. Das ist ein schöner Hinweis, den wir mal morgen gleich in unserer Facebook-Gruppe AllaroundTurkey diskutieren sollten. Ich bin gespannt, was unsere türkischen Freunde dazu sagen werden.
Sehr traurig, dass die Künstlerin Alev schon gehen musste, viel zu jung! Wenn ich mal nach Bodrum komme, werde ich nach den bunten Holzstühlen Ausschau halten…
Guten Abend, liebe Petra, ja, Alev musste viel zu früh von uns gehen. Es sind in diesem Jahr sehr viele Menschen in Bodrum gestorben, die ich kannte. Es ist für mich ein trauriges Jahr. Danke Dir von Herzen, für Deine lieben Gedanken.